Spieltechnik
Fingersatz und Tonumfang der Tin Whistle
Wie bei allen Flöten erzeugt man die verschiedenen Töne, indem man unterschiedliche Löcher öffnet oder schließt. Sind alle Löcher geschlossen, hat man den tiefsten Ton und damit den Grundton (Tonika) der Dur-Tonleiter. Wird das erste Loch geöffnet, erklingt der zweite Tonschritt (Sekunde) und so weiter. Sind alle 6 Löcher offen, hat man die Septime.
Überblasen:
Die zweite Oktave erreicht man, indem der Anblasdruck erhöht wird. Dadurch springt der Ton von selbst in die höhere Oktave. Auf einer Querflöte ist dies nicht so einfach, da die Lippen einen engeren Abstand benötigen. Da die Tin Whistle allerdings einen festen, nicht veränderbaren Windkanal hat, entfällt diese Schwierigkeit.
Die Griffweise in der zweiten Oktave ist dem Grunde nach dieselbe wie in der ersten, obgleich es vorkommen kann, dass in der oberen Oktave einzelne höhere Noten andere Griffen benötigen, um ein Absinken des Tones zu verhindern, das durch den höheren Druck der Luftsäule entsteht.
Auch der Grundton der zweiten Oktave wird häufig mit einem geöffneten obersten Loch gespielt. Dieses geöffnete Loch stabilisiert den Ton und verhindert, dass man aus Versehen in die tiefe Oktave rutscht. Auf der Blockflöte wird dieser Effekt herbeigeführt, indem man das Daumenloch halb schließt.
Viele anderen Noten jenseits der Ganztonleiter können mit halben Löchern oder Klammergriffen erreicht werden. Der verbreitetste Klammergriff ist derjenige, der den Wechsel zwischen kleiner und großer Septime ermöglicht (Also Cis statt C auf einer D-Whistle, bzw. B statt H auf einer C-Whistle)
Hier eine Grifftabelle, die für die meisten Whistles gut funktioniert (ab und an kann es kleine Abweichungen geben).
Tonumfang
Der Standard-Tonumfang einer Tin Whistle beträgt 2 Oktaven. Für eine Soprano D-Whistle bedeutet das einen Tonumfang vom eingestrichenen D bis zum dreigstrichenen D (oder auch D4 bis D6). Meistens kann man auch noch höhere Töne erzeugen, wenn man mit roher Gewalt bläst. Das Ergebnis ist dann allerdings so schrill, dass es nicht mehr angenehm zu hören ist, und bestenfalls dazu taugt, Katzen zu verjagen.
Hätte die Tin Whistle einen konischen anstelle eines zylindrischen Körpers, wäre diese Oktave wahrscheinlich spielbar. Dann wäre die Whistle allerdings schwieriger herzustellen und damit deutlich teurer!
Verzierungen
In der traditionellen Irish-Folk-Musik gibt es eine Menge Verzierungen, die dazu führen, dass die Musik lebendig klingt und nicht wie das, was die meisten von uns aus der Schule erinnern.
Akademisch beschrieben wird die Whistle in der Regel legato gespielt. Um die verschiedenen Töne voneinander zu trennen, werden Verzierungen eingefügt. Man beachte: Die Trennung wird ähnlich wie beim Dudelsackspiel durch eingefügte Noten und weniger durch Zungenschlag gemacht
Somit unterschiedet sich das Konzept grundsätzlich von der klassischen europäischen Musik, in der der Ausdruck und die Verzierungen beim Flötenspiel eher dadurch geprägt sind, wie eine Note artikuliert wird, als dass weitere Töne zum Umspielen der Noten hinzugefügt werden.
Die üblichen Verzierungstechniken sind:
Cuts
Cuts - vom englischen Wort für Schneiden - spielt man, indem man den Ton anschneidet. Der Finger oberhalb des gespielten Tons wird für einen kleinen Moment angehoben, ohne dass der Luftstrom unterbrochen wird. Beispiel: Ein Spieler, der das tiefe D auf seiner D-Whistle spielt, kann für einen kleinen Moment den den Zeigefinger seiner Rechten Hand anheben. Man kann auch den Mittelfinger anheben - Hauptsache der Ton liegt oberhalb des Ds. Dadurch wird die Tonhöhe für einen winzigen Moment angehoben und das Ohr hört eine Trennung zwischen den beiden Ds. Der Cut kann am Anfang einer Note oder zwischen zwei Noten eingesetzt werden.
Die zweite Variante wird als mid-note cut bezeichnet.
Strikes
sind eigentlich dasselbe wie Cuts, nur dass ein Ton unterhalb des gespielten Tons gewählt wird. So kann man zum Beispiel den tiefsten Ton der D-Whistle verwenden, um den Ton E zu trennen.
Bei beiden Varianten geht es um ein kurzes "Anticken" des Tons. Cuts oder Strikes sollen nicht als eigene Töne wahrgenommen werden.
Rolls
Ein Roll ist eine Note, die von einem Cut und einem Strike umrahmt ist. Man unterscheidet zwischen Long Rolls und Short Rolls:
Ein Long Roll ist eine Gruppe von gebundenen Noten gleicher Länge, die erste ohne Cut oder Strike, die zweite mit Cut und die dritte mit Strike.
Ein Short Roll ist eine Gruppe gebundener Noten gleicher Länge. Die erste mit einem Cut und die zweite mit einem Strike.
Cranns
Cranns (oder Crans) sind Verzierungen, die von der Uilleann Pipe, dem irischen Dudelsack, übernommen wurden. Abgesehen davon, dass nur Cuts verwendet werden, sind sie den Rolls sehr ähnlich. Cranns werden auf der Whistle nur dort verwendet, wo keine Rolls möglich sind, weil es keinen Ton unterhalb gibt, zum Beispiel beim D auf der D-Whistle.
Slides
Slides entsprechen dem Portamento in der klassischen Musik. Eine Note unter- oder oberhalb - meistens jedoch unterhalb des gewünschten Tons - wird gespielt, indem der untere Finger langsam zur Seite oder nach unten weggeschoben wird. Dadurch öffnet sich das Loch nur langsam und der Ton steigt stufenlos bis zur gewünschten Note an. Der Slide ist gut geeignet für lange Noten.Artikulation mit Zungenschlag
Anders als bei der Blockflöte wird bei der Whistle kaum über den Zungenschlag artikuliert. Für diejenigen, die es trotzdem probieren möchten: Um bestimmte Töne im Spiel hervorzuheben, kann man am Beginn der Note die Zunge für einen Moment an den vorderen Teil des Gaumens legen, so als würde man die Konsonanten T oder D sprechen. Dadurch entsteht ein kurzes perkussives Moment im Spiel.
Vibrato
Ein Vibrato kann auf zwei unterschiedliche Weisen erzeugt werden. Entweder man öffnet und schließt das unterhalb eines Tones liegende Loch in hoher Geschwindigkeit mehrmals hintereinander etwa zu einem Viertel oder man variiert den Anblasdruck der Atmung (diaphragmische Atmung). In der irischen Musik ist das Fingervibrato verbreitet, in der klassischen das Vibrato über den Anblasdruck.